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„Kinder hungern zu sehen, war für mich ein unerträgliches Gefühl“

Sophia Kahler besucht für drei Wochen das von Sabine Winter unterstützte Slum-Ping-Pong-Projekt /Beeindruckt von der Spielstärke vieler Kinder

Sophia Kahler assistiert einem Kind beim Tischtennis spielen. Fotos: privat

Seit mehreren Jahren verfolge ich mit Begeisterung das Projekt Slum Ping Pong (SPP) in Kampala (Uganda). Es wurde 2018 von Coach Emma (selbst ein guter Tischtennisspieler) und weiteren, größtenteils jungen und motivierten Trainern im Alter von 20 bis 30 Jahren, die selbst in den Slums von Kampala aufgewachsen sind, ins Leben gerufen. Mit dem Projekt sollen den Kindern aus den Slums mit Hilfe von Tischtennis sowohl Freude am Sport und soziale Werte vermittelt, als auch eine Schulbindung ermöglicht werden. Zuletzt war ich für drei Wochen vor Ort.

Hintergründe zum Projekt

Dank der Unterstützung von Nationalspielerin Sabine Winter (TSV Schwabhausen) und ihrem Vater Mark, der bereits schon mehrmals nach Kampala gereist ist, einem Zuschuss der ITTF und privaten Spendern kann mittlerweile 50 Kindern, die im Rahmen des SPP-Projekts regelmäßig zum Tischtennis kommen, der Besuch der Grundschule finanziert werden (Klasse 1 bis 7, Kosten 80 bis 140 Euro pro Schuljahr pro Kind). Viele Familien könnten sich – ohne die Unterstützung von SPP - eine Schulbildung für ihre Kinder nicht oder nur unter sehr schwierigen Voraussetzungen leisten. Erfreulicherweise haben auch schon 13 Jugendliche für ihre guten Leistungen beim Tischtennis ein Stipendium für weiterführende Schulen erhalten (ab Klasse 8, Kosten rund 800 Euro pro Schuljahr pro Kind). Die Möglichkeit, eine weiterführende Schule zu besuchen, ist für viele Kinder dort ein absoluter „Game Changer“, was ihre Zukunftsperspektiven betrifft. In finanzieller Hinsicht übersteigen die 13 Stipendien (13 Kinder x 800 Euro x sechs Jahre = 62.400 Euro), die die Schulen zur Verfügung stellten, schon jetzt die insgesamt für SPP bereitgestellten Mittel an Sponsoring durch die ITTF und Privatpersonen, was ein toller Erfolg ist.

Wie alles begann...

Vor ein paar Jahren, als ich noch aktiv beim TSV Schwabhausen Tischtennis gespielt habe, erzählte mir Sabine beiläufig vom Projekt. An Weihnachten 2019 haben meine Familie und ich beschlossen, dass wir 100 Euro an SPP spenden, wovon die kleine Sofie ein Jahr lang in Kampala zur Schule gehen, mittags dort eine warme Mahlzeit bekommen und am Nachmittag Tischtennis spielen kann. Während Corona waren die Schulen dort leider zwei Jahre lang geschlossen, aber wir hielten den Kontakt zu Sofie durch Briefe und kleine Päckchen.

Bedenken vor dem Besuch

Nachdem ich diesen September mein Biochemiestudium beendet hatte, wollte ich die Zeit bis zum Beginn meiner Doktorarbeit in der Malariaforschung nutzen, um  Sofie und ihre Familie persönlich zu besuchen und das SPP-Projekt live zu erleben. Zunächst war ich unsicher, ob ich der Sache gewachsen bin. Auf der Website des Auswärtigen Amtes wurde von Anschlägen in Kampala und gewaltsamen Konflikten mit den Nachbarländern berichtet, auch vor Ebola-Ausbrüchen wurde gewarnt. Aber Mark versorgte mich mit dem nötigen Wissen und Kontakten, so dass ich zur Freude meiner Eltern (Ironie) für drei Wochen nach Uganda gereist bin.

Herzlicher Empfang am Flughafen und erstes Training

Nach etwa zehn Stunden Flug kam ich in Uganda an und wurde von Coach Emma und Coach Sam sehr herzlich am Flughafen empfangen. Vom Flughafen in Entebbe dauerte es noch eine Auto-Stunde, bis wir an meinem Hostel in Kampala ankamen. Dort gab es auch eine kleine Roof Top Bar, wo man sich abends bei einer Flasche Nile (so heißt das Bier dort) und guter Musik mit Einheimischen und Backpackern aus Europa unterhalten konnte, was ich immer sehr schön fand.

Am nächsten Morgen wurde ich von den Coaches zum Tischtennistraining an der Railways Primary School abgeholt, einem der drei SPP-Standorte. Ich wurde von den Kindern sehr freundlich begrüßt. Einige der kleineren Kinder hatten bisher kaum eine weiße Frau gesehen und riefen „Musungu", was so viel wie „die Weiße" bedeutet. Die sechs Tischtennistische in dem zur Halle umfunktionierten Schulsaal reichten bei weitem nicht aus für die etwa 60 Kinder, die an diesem Nachmittag zum Training gekommen waren. So wurden Gruppen von etwa zehn Kindern mit ähnlichem Spielniveau gebildet, die dann an einem Tisch trainieren konnten.

Mit großer Motivation bei der Sache

An einigen Tischen wurde Balleimertraining angeboten, am „Anfängertisch“ standen ein oder zwei Trainer bereit, um den Kindern die ersten Schläge beizubringen. Ich war beeindruckt von der Spielstärke, die viele Kinder trotz der eingeschränkten Trainingsbedingungen bereits hatten. Vor allem aber war ich begeistert von der Motivation und Freude, die ich bei den Kindern beim Tischtennis spielen beobachtete. Nach dem Training ging ich oft mit den Trainern in die Slums, um dort für umgerechnet einen Euro pro Person zu essen. Wir haben unsere Teller dabei selten leer gegessen. Oft teilten wir es mit den Kindern dort, für manche war es die erste Mahlzeit des Tages. Die hygienischen Bedingungen in den Slums entsprachen natürlich nicht den europäischen Standards. Auch der Anblick von kleinen Kindern, die allein im Dreck auf den Straßen herumkrabbelten, war zugegebenermaßen manchmal schockierend.

Aber trotz der großen Armut in den Slums waren die Menschen mir gegenüber, aber auch untereinander, sehr freundlich und hilfsbereit. Coach Fate erklärte mir, dass positive Werte wie gegenseitige Solidarität und Zusammenarbeit in den Slums besonders wichtig sind. In Begleitung der Coaches, die ich scherzhaft auch meine Bodyguards nannte, habe ich mich selbst in den ärmsten Gegenden immer sehr sicher gefühlt.

Schulnoten der Kinder haben sich verbessert

An drei Vormittagen besuchte ich zusammen mit Coach Cobra und dem Schulleiter Charles alle Klassen (durchschnittlich 80 Kinder pro Klasse) der Schule. Die Kinder konnten mir Fragen über mich, meine Familie und über Europa stellen. Der Schulleiter, ein sehr lustiger Typ, fragte in den Klassen oft, mit welchem Tier ich nach Uganda gekommen sei. Bei den jüngeren Kindern war alles dabei, von Elefanten über Kamele bis hin zu Pferden, bis klar wurde, dass es kein Tier, sondern eher das Flugzeug war. Die Besuche in den Schulklassen verhalfen mir zu einer großen Popularität auf den Straßen Kampalas, so dass sich die Coaches endlich wirklich als meine Bodyguards fühlten. Aber Spaß beiseite. Der Schulleiter erzählte mir auch, dass sich die Noten vieler Kinder, die zum Tischtennis gingen, verbessert haben. Nach seiner Meinung tanken die Kinder dadurch Selbstvertrauen und stärken ihr Durchhaltevermögen. Vor allem sehen sie auch die Chance, dem „Kreislauf der Armut“ zu entkommen.

Fahrt nach Iganga

An einem Wochenende fuhr ich auch zusammen mit Coach Fate zu einem anderen SPP-Standort in der sehr ländlichen Gegend um Iganga (vier Autostunden von Kampala entfernt). Als Transportmittel wählten wir Minibusse und für den letzten Teil der Reise auch ein BodaBoda (alte, langsame Motorräder, die auch in Kampala überall als Transportmittel benutzt werden). In der Stadt mit viel Verkehr auf den Straßen ist das BodaBoda-Fahren nicht ganz ungefährlich. Aber nach einer Weile hat es mir richtig Spaß gemacht und ich habe mich bei Preisverhandlungen mit den BodaBoda-Fahrern auch nicht mehr über den Tisch ziehen lassen.

Schuhe sind ein absoluter Luxus

Bei unserer Ankunft wurden wir von Coach Isaac empfangen, der diesen Standort leitet. Wir waren mit 15 Paar Schuhen angereist, die wir auf einem Second-Hand-Markt für umgerechnet 40 Euro gekauft hatten. Die Kinder waren darüber sehr glücklich, denn Schuhe tragen zu können, ist für viele dort ein Luxus. In der Schule gab es nur eine Tischtennisplatte in einem kleinen Raum. In einem anderen Zimmer gab es zwei selbstgebaute Tische, die für das Anfängertraining genutzt wurden. Zum Mittagessen spendierte ich jedem der etwa 50 Kinder eine warme Mahlzeit. Kinder hungern zu sehen, war für mich ein unerträgliches Gefühl, das mich sehr beschäftigte, auch mit dem Hintergedanken, dass ich in Deutschland nicht immer sparsam lebe, was Essen angeht.

Besuch bei der Familie des SPP-Patenkindes

Zurück in Kampala wurde ich von Sofies Familie, die in einer Baracke (etwa 20 Quadratmeter) in den Slums wohnt, zum Mittagessen eingeladen. Sofies Vater Abraham ist Polizist (Einkommen ca. 80 Euro im Monat plus gratis Wohnraum in einer Baracke). Sofies Mutter Agnes, eine warmherzige und selbstbewusste Frau, kümmert sich um die sechs Kinder. Sie hatten sich richtig Mühe gegeben mit dem Essen, wobei mir der Aufwand um meine Person zugegeben schon etwas unangenehm war.

Sofies ältere Schwester Linda spielt ebenfalls Tischtennis und hat ein Stipendium für eine weiterführende Schule erhalten. Ihr jüngerer Bruder Isaac, den ich mittlerweile auch unterstütze, spielt ebenfalls schon sehr gut Tischtennis. Vater Abraham erzählte mir, dass er anfangs eher etwas skeptisch gegenüber dem Tischtennis-Training war, da er befürchtete, dass sich die Schulleistungen seiner Kinder (er konnte die Schulkosten damals gerade so bezahlen) verschlechterten. Aber nachdem er mitbekam, mit welcher Freude seine Kinder vom Training zurückkehrten und sich bei ihnen die Schulnoten verbesserten, war er sehr begeistert.

Mein Besuch in Uganda, war leider viel zu schnell vorbei. Doch in der kurzen Zeit, in der ich das Projekt und die Menschen dort kennenlernen durfte, sind gute Freundschaften entstanden und ich freue mich schon (insofern es meine Arbeit zulässt) nächstes Jahr wieder dorthin zu reisen.

Zum Schluss noch ein wenig Gesellschaftskritik

Trotz des höheren Wohlstandsniveaus glaube ich nicht, dass in Deutschland alles besser ist. In vielerlei Hinsicht (Lebensfreude, Werte etc.) können wir uns von den Menschen in Uganda inspirieren lassen. Außerdem finde ich es verrückt, dass in einem so fruchtbaren Land wie Uganda Menschen hungern müssen, nicht zuletzt, weil westliche Länder dort immer noch viel zu billig Lebensmittel einkaufen. Ich denke, es ist überfällig, den afrikanischen Kontinent als Freund und gleichberechtigten Partner zu behandeln, und nicht als Untergebenen. Ich sehe es nicht als Nettigkeit oder Wohltätigkeit an, wenn ich das SPP-Projekt unterstütze, sondern als meinen kleinen Beitrag für eine gerechtere Welt.

Fortbestand des SPP-Projekts offen

Leider ist es nicht sicher, ob sich das Projekt dauerhaft aufrechterhalten lässt, da der Fond der ITTF, mit dem unter anderem die Löhne der Trainer bezahlt werden, auf drei Jahre begrenzt ist und nächstes Jahr ausläuft. Momentan hofft Coach Emma mit seinem Trainerteam darauf, dass die ITTF das Projekt für weitere drei Jahre unterstützt.

Eine Website, die über das Projekt informiert, ist in Bearbeitung. Die finanzielle Unterstützung für das Projekt läuft im Moment in Deutschland ausschließlich über Mark Winter. Wer für das Projekt spenden will oder weitere Fragen hat, kann sich an ihn wenden (E-Mail: tt.mwinter@gmail.com). Ich möchte mich hiermit auch noch einmal bei Sabine und Mark persönlich für ihre Reiseberatung bedanken. Es ist bewundernswert, mit wie viel Zeit, Energie, und privaten Mitteln, die beiden das Projekt von Deutschland aus seit Jahren unterstützen und bei der Verwaltung von Spenden mitwirken, sodass das Geld zu 100 Prozent bei SPP ankommt.

Zur Person

Sophia Kahler begann im Alter von sieben Jahren beim SV Gendorf Burgkirchen (Landkreis Altötting) mit dem Tischtennis spielen. Zum Tischtennis kam sie über ihren Vater Markus und ihre Tante Julia, die selbst in der Regionalliga beim TSV Schwabhausen aktiv war und mit der sie in ihrer Jugendzeit zusammen beim SV Niederbergkirchen in der Oberliga aufschlug. Beim TSV Schwabhausen spielte Kahler mehrere Jahre in der 3. Bundesliga und in der Regionalliga. 2020 hat sie ihre aktive „Karriere“ beendet. Während ihres Biochemie-Masters studierte sie auch Philosophie. Anfang 2022 zog sie für ihre Biochemie-Masterarbeit von München nach Berlin, wo Kahler seit November im Rahmen ihrer Doktorarbeit an Malaria forscht.

Sophia Kahler mit Sofie (rechts) und deren Familie.
Die 26-Jährige ist umgeben von vielen Kindern.
An den Tischen ist viel los.
Die Kinder konnten ihr auch Fragen stellen.
Sophia Kahler wurde im wahrsten Sinne des Wortes mit offenen Armen empfangen.
Platzknappheit ist kein seltenes Phänomen in Uganda.
Ein Nationalmannschaftstrikot hat den Weg nach Uganda gefunden.
Roof-Top-Bar mit tollem Ausblick.
Hochhäuser, aber auch Baracken prägen das Stadtbild.
Das Straßenbild: viele BodaBodas, sprich alte Motorräder

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